Manuskript "Ein Abend über den Mord an Halit Yozgat"

14.03.2014

Guten Abend,

mein Name ist Fritz Laszlo Weber, ich bin Student an der Kunsthochschule Kassel.

Während der Vorbereitungen auf die Ausstellung Interventionen 2014 im Regierungspräsidium Kassel, bei der jährlich Studierende der Kunsthochschule Kassel eingeladen werden in den Büroalltag einzugreifen, hatte ich mich mit dem Mord an Halit Yozgat auseinander gesetzt.

Ein Vortrag im Regierungspräsidium sollte das Ergebnis werden um einen Diskurs anzustoßen zwischen Besuchern, Studierenden und Mitarbeitern.

Die Behörde war dagegen und untersagte die Veranstaltung. Begründet wurde das wie folgt: "Das Regierungspräsidium kann keine Arbeit in der Ausstellung aufnehmen, die als Stellungnahme zu einem laufenden juristischen Verfahren verstanden werden könnte." Wieso ich mich als freier Künstler, ohne Bezüge zur Behörde, nicht ins Regierungspräsidium stellen kann und eine Stellungnahme abgeben kann, bleibt mir schleierhaft. Ich unterliege ja nicht der Gewaltenteilung.

Der Vortrag finden also heute hier statt.

Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit, denn alle Aspekte dieses Falls lassen sich schwer in einen Vortrag packen, aber mit der Absicht zur Vermittlung will ich den möglichen Tatablauf, die folgenden Ermittlungen und schließlich das Verfahren gegen Mitglieder und Helfer des NSU aufbereiten.

Ich selber habe mich mit dem Fall intensiv erst im Rahmen der Interventionen beschäftigt. Und mich entschlossen die Recherchen in die Ausstellung zu tragen.

Der Vortrag wird in Bild und Ton aufgezeichnet. Das Publikum wird auf dem Video nicht von vorne zu sehen sein. Falls Fragen aufkommen, stehen hier Mikrofone bereit. Der Ton wird auch aufgezeichnet, falls sie das nicht wünschen, sagen sie es bitte, dann schneiden wir das heraus.

Am Donnerstag, den 6. April 2006 wird Halit Yozgat vermutlich zwischen 17:01 und 17:03 [5] in seinem Ladengeschäft an der Holländischen Straße Nr 82 in Kassel durch zwei Schüsse in seinen Kopf aus einer Pistole mit Schalldämpfer getötet. Es fehlt kein Geld in der Kasse, er saß vermutlich hinter seinem Schreibtisch/seinem Tresen und auch sind keine Spuren eines Kampfes feststellbar. [9] [14]
Die Tatwaffe war eine Ceska, Typ 83, Kaliber 7.65. Mit der Tatwaffe wurden seit dem Jahr 2000 Morde in Nürnberg, München, Hamburg, Rostock und Dortmund begangen.

Zur Zeit der Tat sind im Ladengeschäft mehrere Personen anwesend.

Faiz S. war in einer Telefonkabine im Vorderraum, telefonierte dort bis 17:03. Große Plakate an der Kabine versperrten ihm die Sicht nach außen. Nachdem Faiz S. seinen Anruf beendet hat, geht er zum Hinterraum und fragt nach Halit, den er vorne nicht sieht. [9] [24]

Ismail Yozgat, Halit's Vater, war zum Einkaufen in der Stadt und wollte dann Halit in seinem Geschäft ablösen. Er verspätete sich einige Minuten, betritt den Laden, geht zur Theke und findet Halit auf dem Boden hinter dem Schreibtisch. [8] [13]

Wegen die darauffolgenden Schreie und Rufe von Halit's Vater, geht Ahmed in den Vorderraum. Der 16 Jährige hatte zuvor im Hinterraum an einem Computer gesessen. Während Ahmed versucht erste Hilfe zu leisten [21], ruft Ismail Yozgat die Rettungskräfte.

Der eintreffende Rettungsassistent Ulf E. zieht Halit hinter dem Schreibtisch hervor, in die Mitte des Raumes und leitet Reanimationsmaßnahmen ein. [14]
Jedoch vergeblich.

Die Polizei stellt neben Ahmed noch weitere Zeugen fest, die sich um die Tatzeit im Laden befanden.

In einer abgetrennten Kabine zwischen Vorderraum und Hinterraum befand sich eine Frau mit ihrem Kind und telefonierte.
Der 14 jährige Emre befand sich wie Ahmed im Hinterraum an einem PC.

Alle Zeugen geben an, merkwürdige Geräusche gehört zu haben. Diese wurden jedoch von niemandem als Schüsse interpretiert.

Ahmed wird als vorläufiger Beschuldigter auf die Wache gefahren und ohne Anwalt oder Erziehungsberechtigten vernommen. [27]
Auch Faiz S. wird zunächst als Beschuldigter vernommen worden. [24]
Beide werden jedoch am gleich Tag wieder als Zeugen eingestuft.

Ahmet gibt später an, einen Joint am Tattag geraucht zu haben. [21]
Verschiedene Medien zweifeln daher heute an seiner Glaubwürdigkeit.

Über die Auswirkungen dieses Tages auf ihn, sagt Ahmed später:

Er sei jung gewesen, habe schon mal eine Leiche gesehen, aber keinen, der ermordet wurde. Sein Vater habe ihn in die Kinderpsychiatrie gebracht, er hab nichts mehr gegessen. Dort sei er zwei bis drei Wochen geblieben (…) Danach habe er noch Schlafschwierigkeiten gehabt, das habe noch ein Jahr oder so gebraucht. [21]

Ahmed erinnert sich drei Tage nach der Tat, dass ihm gegenüber eine weitere Person im Café gewesen sei. Die Ermittler werten die Rechner aus und finden heraus, dass die besagte Person als 'Wildman70' von 16:50 bis 17.01 in der Kontaktbörse 'iLove.de' eingeloggt war und mit 'Tanymany' flirtete. Über die dort hinterlegte Telefonnummer kommen die Ermittler auf Andreas T.
Sie starten eine Telefonüberwachung und nehmen ihn nach einigen Tagen -am 21.April- fest. [5] [3]

Da wissen die Ermittler nach eigener Aussage noch nicht, dass er damals beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen als Quellenführer angestellt war.
Er führte damals fünf Quellen aus dem Bereich Islamismus und eine Quelle im Bereich des Rechtsextremismus. [13]

Das LfV ist ein Geheimdienst, in Dt. auch Nachrichtendienst genannt, hat gesetzlichen Auftrag, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen oder Tätigkeiten zu sammeln und auszuwerten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Es hat keine polizeilichen Befugnisse (z. B. Festnahmen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen, Platzverweise)
Um an Informationen zu gelangen darf das LfV Personen in extremistische Organisationen einschleusen oder aus ihnen anwerben. Also das Führen von Vertrauensleuten, sog. V-Männern oder eben Quellen. Desweiteren darf das LfV u.a. den Post- und Fernmeldeverkehr überwachen und nachrichtendienstliche Hilfsmittel wie Tarnausweise oder Tarnkennzeichen benutzen. Das LfV untersteht dem Hessischen Ministerium für Inneres und Sport.

Eine V-Person ist eine Person, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen und deren Identität grundsätzlich geheim gehalten wird. Im Gegensatz zu einem verdeckten Ermittler gehört die V-Person nicht der Ermittlungsbehörde an, sondern ist eine Privatperson, die meist dem Milieu angehört, in dem sie eingesetzt wird. Die Motive für die Tätigkeit als Informant können vielfältig sein: Sie reichen vom finanziellen Interesse an den von Behörden gezahlten Belohnungen über ideelle und persönliche Motive wie Rache oder Konkurrenzneid bis hin zum Interesse an Vergünstigungen wie Unterlassen der Strafverfolgung. Dadurch, dass die V-Person in die Strukturen der jeweiligen Gruppe integriert ist, sollen Informationen der Gruppe aus erster Hand von ihr an den Auftraggeber weitergeleitet werden.

Nach der Festnahme also sagt Andreas T. den Ermittlern, er habe erst am Sonntag, den 9. April aus dem Extra-Tip von dem Mord erfahren. [5]

Auf die Frage, warum er sich nicht bei der Polizei als Zeuge gemeldet hat, sagt er:

"Ich war aufgewühlt (…) ich habe am Montag morgen auf der Dienststelle meine Stempelkarte angesehen, ich habe gesehen, dass ich am Mittwoch den Dienst früher beendet habe, am Donnerstag dagegen in zeitlicher Nähe zur Tat und dachte, dass das gar nicht sein könnte, dass das nur der Mittwoch sein konnte“. Er sei diesem „Trugschluss“ erlegen und hätte sich nicht bei der Polizei gemeldet, „obwohl ich mich auch als 24 Stunden vorher Anwesender bei der Polizei hätte melden können. Das war ein Fehler, klar.“ [13]

Außerdem gibt T. an, er hätte sich nicht auf den Zeugenaufruf der Polizei gemeldet, weil er sich als Verfassungsschützer dort nicht hätte aufhalten dürfen. Und weil er nicht wollte, dass seine schwangere Ehefrau von den Chats auf ilove.de erfährt. Die Angst vor dienstlichen Konsequenzen lässt sich allerdings nicht mit konkreten Vorschriften begründen. [5] [13]
Eine Vorgesetzte T.s sagt allerdings später vor Gericht:

Internetcafés sollten von Mitarbeitern ihrer Behörde auch nicht benutzt werden, da sie ja „in so Gegenden, wo auch viele Ausländer sind“, lägen. [27]

Die Vertreter der Nebenklage im NSU Prozess kommentieren, die Äußerung in ihrem Blog:

Diese Angaben der Zeugin machten deutlich, auf welch niedrigem, von rassistischen Vorurteilen geprägten Niveau die Arbeit des hessischen Landesamtes ablief. [27]

Bei der Durchsuchung der Räume von T. finden die Beamten mehrere Schusswaffen für die er eine Waffenbesitzkarte hat. [5]

Außerdem seien Schriftstücke gefunden worden, wo T. mit einer mechanischen Schreibmaschine mit, wie T. später erklärt habe, 13 oder 14 Jahren Bücher aus dem Nationalsozialismus abgeschrieben und die Unterschrift Hitlers imitiert habe. [5] [14]

Ein Zeuge gibt an, dass T. zu Jugendzeiten “Klein-Adolf” genannt worden sei.[14]

Die Ermittler konstruieren den Tagesverlauf von Andreas T am 6.April wie folgt:

Gegen 16:10 ruft bei Andreas T. seine Quelle "GP 389" an. Das ist Benjamin G., eine in Kassel ansässige Quelle aus der rechtsextremen Szene. Er war Mitglied der Kameradschaft Kassel, beschreibt sich im NSU Prozess selber aber als "Säufer", anstatt als "Extremer". [1] [20] [6]
Benjamin G war die erste Quelle, die Andreas T. beim Verfassungsschutz betreute [19] und die Nebenklage will im NSU Prozess beweisen, dass G. Mitglieder des NSU kannte. [12]
Das Telefonat dauert 688 Sekunden. Weder G. noch T können sich an den Inhalt des Telefonates erinnern. [20] [14]

Um 16:43 verlässt Andreas T. laut Stempeluhr die Kasseler Außenstelle des hessischen Verfassungsschutzes in der Wolfhager Straße 171. [2]

16:50 Andreas T. loggt sich in dem Internetcafe bei iLove.de ein.

Und um 17:01 loggt er sich wieder aus.

Er verlässt (den Computer) und geht zurück zum Tresen am Eingang. Dort, so jedenfalls seine Aussage, habe er den Besitzer nicht gesehen. Er sei vor die Tür gegangen und habe dort nachgeschaut, dann sei er wieder hinein gekommen. Kurz entschlossen habe er sein Portemonnaie aus der Tasche gezogen, 50 Cent herausgenommen und auf den Tresen gelegt, und zwar extra ein Stück von einem Teller mit anderen Münzen entfernt, damit Halit auch bemerkt, dass dieses Geld nichts mit den anderen Münzen zu tun hat. Dann habe er das Café verlassen. Direkt vor der Tür parkte sein Auto. [29]

Dazu sagt ein Beamter des BKA vor Gericht:

(…) Das (…) habe eine Minute gedauert, es seien also nur noch 40 Sekunden, bis der Zeuge Sh. seine Telefonzelle verlassen habe. Das, so (der Beamte), sei sehr knapp.[5]

Wenn Andreas T. nach der Tat den Raum begangen hätte, schätzte der Beamte, dass T. das Opfer gesehen haben müssten. [5] Man muss dazu sagen, dass der Tisch an dem Halit saß, nicht sonderlich hoch war und Andreas T ein relativ großer Mann ist.

Um 17:19 des Tattages telefonier Andreas T. dann noch einmal mit Benjamin G.[13]

Die ermittelnden Beamten möchten nun natürlich ausführlich mit Andreas T. und Benjamin G. sprechen.
Jedoch gibt es in Deutschland Geheimhaltungsbestimmungen, die besagen, dass Mitarbeiter und Angehöriger einer Behörde eine Aussagegenehmigung der Behörde brauchen, „wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde". [32]
Das gilt auch für den Verfassungsschutz. Egal ob bei polizeilichen Ermittlungen oder Gerichtsverfahren.
Zu diesem Zeitpunk ist der heutige Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier Innenminister und somit zuständig für den Verfassungsschutz. Er verweigert eine Aussagegenehmigung. [5]

Ein Mitarbeiter der Verfassungsschutz äußert sich über die Bitten der Ermittler wie folgt: "dass dies das größtmögliche Unglück für das Landesamt wäre. Man müsse zukünftig nur eine Leiche in der Nähe eines VMs ablegen”, um den Geheimdienst zu zerschlagen.[16]

Die Kommunikationspolitik des Innenministeriums sei "unerträglich", schimpft (zur gleiche Zeit) der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, Jörg-Uwe Hahn. Es könne nicht angehen, dass die Parlamentarier erst aus den Medien erfahren, dass gegen einen Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes wegen Mordverdachts ermittelt werde. [7]

Die Ermittler hören weiter das Telefon von Andreas T. ab. In einem Gespräch zwischen Andreas T. und dem Verfassungsschutz Mitarbeiter Frank-Ulrich F. sprechen die Beiden von einem "restriktiven" Aussageverhalten gegenüber der Polizei. Und bei einem Gespräch mit dem damaligen Leiter des Verfassungsschutzes Lutz Irrgang hätte er sich nicht so restriktiv verhalten. [22]

Aus einem (weiteren) Abhörprotokoll der Polizei ergebe sich außerdem, das sich T. mit seiner Vorgesetzten in einer Autobahnraststätte getroffen habe, das Gespräch habe ausdrücklich nicht in einer Dienststelle stattfinden sollen. [13]

Bei einem weiteren abgehörten Gespräch wird T von einem Beamten des Verfassungsschutzes Hessen geraten, bei seinen Vernehmungen “so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben”.[16]

Im Prozess wird das als "Einwirken" und "Steuern" des Aussageverhaltens von der Nebenklage bezeichnet.[16]

Andreas T. wird vom Dienst suspendiert.[33] Einen Tag nach seiner Festnahme am 21. April kann er wieder gehen, allerdings folgen noch zahlreiche Verhören. [13]

Die Ermittlungen gegen Andreas T. enden 9 Monate nach der Tat. [34]
Da wird T auch schon längst nicht mehr als Mörder verdächtigt. Er hatte Alibis für die Tatzeiten der anderen Morde, die mit der Tatwaffe begangen wurden. Die Ermittler haben jedoch weiterhin das Gefühl, das Andreas T. ihnen nicht alles erzählt hat.

Indes können die Ermittler bei der Mordserie keine Verbindungen zwischen den Mordopfern untereinander oder ein Motiv des Täters erkennen. Eine der Hypothesen, die sie entwickeln, besagt jetzt dass die Opfer Mitglieder einer kriminellen Organisation waren, die einen Fehler gemacht haben und dafür bestraft wurden. Die Beamten -so scheint es- trauen den Aussagen der Freunde und Verwandten der Opfer nicht.
Ein Beamter sagt in einem Interview mit der BZ: "Ich denke an Bekannte, Freunde und Verwandte der Opfer. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie uns nichts sagen können oder nichts sagen wollen. Von dieser Seite kamen jedenfalls keine wichtigen Hinweise."[35] Der Beamte vergisst jedoch die von den Angehörigen immer wieder angesprochenen fremdenfeindlichen Motive, die die Taten zu haben einen scheint. Viele weitere krude und haltlose Theorien über Drogenhandel, Mafia und Geldwäsche werden stattdessen öffentlich diskutiert.

Die Telefone der Familie Yozgat werden über Monate abgehört. Ein verdeckter Ermittler Einsatz wird durch geführt. In der Akte der Ermittler ist nachher nur zu lesen: [36]

normale Familie mit normalen Problemen, türkische Landsleute berichten nur positiv”[9]

Obwohl sich der Verdacht gegen die Familie nicht erhärten kann, bleiben Vorurteile. Ismail Yozgat sagt dazu:

„Alle haben uns feindlich angeschaut, sowohl die Deutschen als auch die Türken, alle haben uns schlecht angeschaut." Immer hätten die Leute gefragt, wer seinen Sohn getötet habe wegen Haschisch, Heroin, Dönerserienmord oder Mafia.[13]

Ismail Yozgat erleidet in Monaten nach dem Mord einen Herzinfarkt.

Fazit der Ermittler im Prozess ist, “dass die Ermittlungen im Umfeld der Familie keinen Anhaltspunkt für eine Spur in der Familie ergeben haben”. [9]

Am 6.5.2006 organisieren die Angehörigen von Halit Yozgat und anderer Opfer in Kassel einen Trauermarsch unter dem Motto "Kein 10. Mordopfer". Zwischen 2000 und 4000 Menschen, vor allem aus migrantischen Communities, nehmen an der Demonstration teil. [10] [40]

Am 4. November 2011 gegen 11:30 töten sich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in einem Wohnmobil in Eisenach, nach einem gescheiterten Banküberfall. Gegen 15:00 des selben Tages kommt es in einer Wohnung in Zwickau zu einer Explosion mit anschließendem Brand.
In der Wohnung soll Beate Zschäpe mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gelebt.

In dem Brandschutt der Wohnung wird ein kleiner Notizzettel gefunden. Handschriftlich, beidseitig beschrieben mit Notizen, Skizzen und Zahlenfolgen. U.a. mit der Aufschrift "Hollä. Str. 82" [15], den Funkfrequenzen des Polizeipräsidiums Nordhessen, die über das Internet auffindbar sind, und einer Skizze, die dem Eingangsbereich des Internetcafés ähnelt.
Die Handschrift auf dem Zettel wird "mit leicht überwiegender Wahrscheinlichkeit" Uwe Mundlos zugeordnet. [14]

Außerdem finden die Ermittler die Tatwaffe der Mordserie, die Ceska Typ 83.

4 Tage später, am 8.November 2011 stellt sich Beate Zschäpe der Polizei.

Der Begriff "Döner-Morde", der für die Mordserie von den Medien benutzt wurde, scheint jetzt noch respektloser und unangemessener als zuvor schon. Döner-Morde wird zum Unwort des Jahre 2011 gewählt. In der Begründung der Jury heißt es:

Der Ausdruck steht prototypisch dafür, dass die politische Dimension der Mordserie jahrelang verkannt oder willentlich ignoriert wurde: Die Unterstellung, die Motive der Morde seien im kriminellen Milieu von Schutzgeld- und/oder Drogengeschäften zu suchen, wurde mit dieser Bezeichnung gestützt. Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen Etikettierung einer rechts-terroristischen Mordserie werden ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden.[37]

Im Nachhinein wird bekannt, dass ab dem 11. November 2011 im Bundesamt für Verfassungsschutz und anderen Behörden mehrfach Akten vernichtet wurden, die über Vorgänge in der rechten Szene geführt wurden und die möglicherweise bei der Aufklärung der Taten und besonders bei der Frage, warum die Rechtsterroristen nicht vorher aufgeflogen sind, helfen könnten.

Das Handeln (…)(der Behörden) führte ab Juli 2012 zu Rücktritten und Entlassungen des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der Präsidenten des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen und der Leiterin der Abteilung für Verfassungsschutz des Senatsverwaltung für Inneres Berlins. [4]

In Hessen gibt es jedoch personellen Konsequenzen nach meinem Wissen.

In Anwesenheit der Bundeskanzlerin äußert Ismail Yozgat am 23. Februar 2012 bei der Gedenkfeier der NSU-Opfer in Berlin erstmals den Wunsch öffentlich, dass die Holländische Straße, an der Halit geboren und getötet wurde, in Halit-Yozgat-Straße umbenannt wird. [23]
Mehrere Kasseler Stadtfraktionen sprechen sich dagegen aus. Das Prozedere sei zu schwierig, die Anwohner müssten befragt werden, die Straße sei zu wichtig. In den Kommentarspalten der lokalen Medien hagelt es fremdenfeindliche Kommentare und Hetze.

Am 8. Mai 2012 benennen mehrere Aktivisten und Aktivistinnen die Holländische Straße einfach selber um. Auf 2km Länge werden die Straßenschilder überklebt.[25]

Am 1. Oktober 2012 wird in Kassel der Halitplatz neben dem Friedhof mit einer Gedenktafel eingeweiht.

Am 6. Mai 2013 wird vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche Helfer und Unterstützer eröffnet.

Während des Prozesses wollen Vertreter der Nebenklage u.a. eine Verbindung zwischen Benjamin G., der rechten Quelle von Andreas T, und dem NSU beweisen. [14]
So sollen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 18.März 2006 auf einem Konzert der rechtsrock Band "Oidoxie" gewesen sein. Ein Mitglied der Kasseler Nazi Truppe "Sturm 18" machte dort den Einlass. Benjamin G. kannte den Einlasser und besaß auch CD's und DVD's der Band. Zwei Tage vor dem Mord in Kassel, wurde ein weiterer Mord vom NSU in Dortmund begangen. Aus Dortmund stammt auch Oidoxie. [31]

Im Prozess gibt Benjamin G. an, nie mit Andreas T. über den Fall gesprochen zu haben. [20]

Das BKA sieht selbst keine Bezüge zwischen Benjamin G und dem NSU. [14]
Benjamin G taucht im Laufe des NSU Untersuchungsausschuss im Bundestag auf einer Liste von "alten Freunden, bekannten Neonazis ohne Konkreten Bezug, mustmasslicher Helfer" auf, der sog. 129er-Liste. Wozu Benjamin G zählt, ist mir nicht bekannt. Die Liste wird später auf mehr als 500 Menschen erweitert. [30]

Die Nebenklage will außerdem im NSU Prozess Akten einbringen, die aufzeigen, dass ein wesentlich engerer Kontakt zu Benjamin G. bestand als bisher angenommen. So soll er sich im Oktober 2006 -lange nach Entbindung seiner dienstl. Pflichten- noch einmal mit G. im Kasseler Burger King getroffen haben, es gab außerdem weiterhin telefonischen Kontakt.

Diese Woche äußerste sich der damalige Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutzes, Lutz Irrgang, zu dem Fall im Prozess. Er will nichts von den Vorgängen gewusst haben, war damals im Urlaub. Änderungen der Strukturen des hessischen Landesamtes aber zog der Vorfall keine nach sich – die Behörde beschränkte sich darauf, T. zu suspendieren.

Regelmäßig streiten sich Generalbundesanwaltschalft und Nebenklage im Verfahren über fehlende Akten und Berichte.

Andreas T. wurde schon mehrmals im Prozess befragt. Dabei bleiben weiterhin viele Fragen offen und wenige Widersprüche können aufgeklärt werden. Der Vorsitzende Richter Götzl verliert dabei merklich die Geduld während des Verfahrens. Es ist möglich, dass es sich bei Geschichte um Andreas T. um eine Verkettung von Zufällen handelt. Ausschließen lässt sich das nicht.

Inzwischen ist der 93. Verhandlungstag erreicht. Angesetzt sind insgesamt 188 Verhandlungstage bis Ende 2014. Anfang 2015 wird frühestens ein Urteil erwartet. Die Fragezeichen über das Handeln des Verfassungsschutzes und das seiner Mitarbeiter wird das Urteil wahrscheinlich nicht beseitigen.

Am 6. April jährt sich der Tag des Mordes zum 8. mal.

Ein Manuskript des Abends mit allen Quellen ist unter fritz-weber.de/halit verfügbar. Dieser Vortrag orientierte sich an dem Fall in Kassel und bediente sich größtenteils an Aussagen und Protokollen des NSU Prozesses.
Ausführliche Protokolle des NSU Prozesses sind unter nsu-watch.info verfügbar.

In Kassel organisiert u.a. die Initiative 6. April [39] zu dem Thema Veranstaltungen.
So wird es zwischen März und Juni Veranstaltungen geben über die Demo 2006; die juristische Dimension des behördlichen Versagens; über die Rolle der Medien und ein Theaterstück über den Verfassungsschutz. Am 6. April um 15 Uhr gibt eines Gedenkveranstaltung auf dem Halitplatz. Ab dem 21.03 ist im Rathaus der Stadt Kassel eine Ausstellung zu sehen, die neben den Biographien der Mordopfer, auch auf die Bombenanschläge, die Banküberfalle und das Umfeld des NSU behandelt.

Mehr dazu unter initiative6april.wordpress.com

Vielen Dank!

back to the index ↖

*
view:   Aa   A-   A+   A0